Berlin | Die Regelungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im
Gesundheitswesen sind zu unscharf und grenzen zulässige Kooperationen zwischen
Unternehmen und medizinischen Einrichtungen nicht klar genug ab. Das meinten der
Leipziger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hendrik Schneider und die
stellvertretende BVMed-Vorstandsvorsitzende Christiane Döring auf der 7.
BVMed-Healthcare Compliance-Konferenz vor rund 150 Teilnehmern am 19. November
2015 in Berlin. Schneider kritisierte, dass die "Grenzen des
straftatsbestandlichen Verhaltens" bei Verstößen gegen berufsrechtliche
Pflichten nicht klar seien. "Die Regelung ist kernprägnant, aber nicht
trennscharf." Döring forderte, die zweite Tatbestandsalternative, die an die
berufsrechtliche Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit
anknüpft, ersatzlos zu streichen. Die GHD-Geschäftsführerin wies ebenso wie
B. Braun-Vertreter Carsten Clausen darauf hin, dass die Berufsordnungen der
Heilberufsträger auf Länderebene sehr unterschiedlich seien. Döring wies
darauf hin, dass in der Homecare-Hilfsmittelversorgung eine enge Kooperation,
Abstimmung und Koordination der Versorgung, auch mit den sogenannten
Heilberufsträgern, aus Patientensicht unverzichtbar sei. Ihr Plädoyer:
"Politisch gewollte Kooperationen im Interesse des Patienten dürfen nicht
dadurch behindert werden, dass sie unter Generalverdacht geraten."
Der hessische
Oberstaatsanwalt Alexander Badle relativierte die Sorgen der Unternehmen. Die
neuen Strafrechtsparagrafen enthielten keine neuen Verbote, sondern eine neue
Sanktionsschärfe. Wettbewerbswidriges und sozialrechtswidriges Verhalten sowie
Verstöße gegen das Berufsrecht könnten künftig Anknüpfungspunkt für eine
Straftat sein. "Umso wichtiger ist es, sich an die Vorgaben zu halten und nicht
nach Umgehungsstrategien zu suchen", so Badle. Er empfahl den Unternehmen, sich
an die BVMed-Verhaltensregeln aus dem "Kodex Medizinprodukte"
(www.bvmed.de/compliance) (http://www.bvmed.de/de/recht/healthcare-compliance)
zu halten, die "effektiv und effizient schützen" und helfen, "Compliance zu
leben".
Die Zusammenarbeit von Industrie und medizinischen Einrichtungen ist für den
medizintechnischen Fortschritt sowie für die sichere Anwendung von
Medizinprodukten notwendig und auch politisch gewünscht, verdeutlichte Joachim
M. Schmitt, BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied, in seiner
Einführungsrede. Die Zusammenarbeit sei aber strafrechtlich risikobehaftet.
Oberstes Ziel sei deshalb, zu vermeiden, in Korruptionsverdacht zu geraten.
Deshalb verfolge der BVMed mit der Aufklärungskampagne "MedTech Kompass"
(www.medtech-kompass.de) (http://www.medtech-kompass.de) einen positiven
Informationsansatz, um die Prinzipien einer guten und transparenten
Zusammenarbeit bekannter zu machen. Da die Gesetzestexte oft nicht einfach zu
verstehen seien, habe der BVMed bereits 1997 den "Kodex Medizinprodukte" mit
praktischen Handlungsempfehlungen erarbeitet und 2006 gemeinsam mit dem Verband
der Krankenhausdirektoren (VKD) Musterverträge für verschiedene Bereiche
vorgelegt. Mit dem Kodex und dem "MedTech Kompass" werden die vier wichtigsten
Prinzipien für "Healthcare Compliance" kommuniziert:
* Trennungsprinzip: Zuwendungen dürfen nicht im Zusammenhang mit
Beschaffungsentscheidungen stehen;
* Transparenzprinzip: Jede Zuwendung und Vergütung muss offengelegt werden;
* Dokumentationsprinzip: Alle Leistungen müssen schriftlich festgehalten
werden;
* Äquivalenzprinzip: Leistung und Gegenleistung müssen in einem
angemessenen Verhältnis stehen.
Schmitt betonte die Bedeutung eines "Netzwerkes für mehr Sicherheit" für
Compliance-Verantwortliche, das Richtlinien und Dienstanweisungen für
Mitarbeiter sowie regelmäßige Schulungen in den Unternehmen und den
medizinischen Einrichtungen beinhaltet. Die Philosophie des BVMed und des Kodex
Medizinprodukte sei es, Gesetze zu erklären und verständlich zu machen sowie
praktische Verhaltensempfehlungen zu erstellen und regelmäßige Informationen
und Schulungen anzubieten. Man wolle aber nicht über die inländischen Gesetze
hinausgehen, denn diese seien ausreichend.
Über die Regelungen des kürzlich im Bundestag eingebrachten Gesetzes zur
Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen informierte Prof. Dr. Hendrik
Schneider vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und
Strafvollzugsrecht an der Universität Leipzig. Das Gesetz soll eine Lücke im
Strafrecht schließen. Es schafft den Straftatbestand der Bestechung und
Bestechlichkeit aber nicht nur für die niedergelassenen Ärzte, sondern
darüber hinaus auch für andere Berufsgruppen im Gesundheitsbereich. Betroffen
sind in einem zweiten Straftatbestand auch bestimmte Berufspflichtverletzungen.
Schneider bezeichnet die Regelung als "kernprägnant, aber nicht trennscharf".
Die Grenzen der Strafbarkeit sind nach dem aktuellen Gesetzestext nur schwer zu
ziehen. Die Folge sei, dass es mehr unklare als klare Sachverhalte gebe und die
Frage nur schwer zu beantworten sei, ob bestimmte Kooperationen zulässig oder
strafrechtlich relevant seien. Rechtspolitisch problematisch findet Schneider
die Regelungen zur "Bevorzugung im […] ausländischen Wettbewerb in unlauterer
Art und Weise" sowie zur "Verletzung berufsrechtlicher Pflichten zur Wahrung der
heilberuflichen Unabhängigkeit" als Auffangtatbestand beim Fehlen einer
Wettbewerbssituation. Eine funktionierende Kooperation beispielsweise im
Entlassmanagement könne natürlich zu Marketingeffekten führen, die künftig
problematisch sein könnten, so Schneider. Das gelte auch für Rabattaktionen,
jedoch nicht im OTC-Bereich, wo sie explizit erlaubt sind. "Hier gibt es also
künftig aufgrund der mangelnden Trennschärfe der Regelungen durchaus
Stolpersteine für die Praxis", kritisiert der Leipziger Rechtswissenschaftler.
Christiane Döring, GHD-Geschäftsführerin und stellvertretende
BVMed-Vorstandsvorsitzende, schilderte mögliche Auswirkungen auf die Praxis der
Hilfsmittelleistungserbringer und auf die Patientenversorgung, wenn das
Korruptions-Bekämpfungsgesetz so wie geplant mit der zweiten
Tatbestandsalternative kommt. Die Kooperationen von Homecare-Unternehmen mit
Ärzten und Krankenhäusern würden dann unter Generalverdacht gestellt "und
werden deshalb deutlich weniger werden". Die Verunsicherung aller Beteiligten
werde als Kooperationsbremse zu spüren sein, befürchtet Döring. Es bestehe
die Gefahr, dass innovative Kooperationen gar nicht erst gestartet werden.
Dörings Kritik am Gesetzentwurf: "Die Hürde für einen Anfangsverdacht der
Berufspflichtverletzung ist nicht hoch und der Imageschaden und damit der
wirtschaftliche Schaden für die Leistungserbringer beginnt bereits mit Aufnahme
der Ermittlungen und Information der Öffentlichkeit." Prüfungsmaßstäbe für
die berufsrechtliche Pflichtverletzung müssten zur Wahrung der heilberuflichen
Unabhängigkeit erst über Jahre durch die Rechtsprechung entwickelt werden.
Döring: "Das hilft den Beteiligten heute leider überhaupt nicht." Erschwert
werde die Situation zudem durch das Antragsrecht der Krankenkassen, die zugleich
Vertragspartner und Geldgeber sind. Auch Mitbewerber, die sich von möglichen
korruptiven Absprachen verletzt fühlten, seien antragsberechtigt. "Das
Schlimmste an den vorgenannten Konsequenzen ist, dass demjenigen, den der
Gesetzgeber schützen will, dem Patienten, mit alledem überhaupt nicht geholfen
wird. Im Gegenteil, es droht eine Verschlechterung der Patientenversorgung", so
Döring kritisch. Sie forderte daher die Streichung der zweiten
Tatbestandsalternative der berufsrechtlichen Pflicht zur Wahrung der
heilberuflichen Unabhängigkeit.
Aktuelle Compliance-Probleme beleuchtete Carsten Clausen, Leiter der Business
Unit Versorgungsmanagement bei B. Braun Melsungen. Bei Zuwendungen an den
"Kunden", den Arzt, bewege man sich immer in einer rechtlichen Grauzone. Man
sollte deshalb die Prinzipien der Trennung, Dokumentation, Transparenz und
Äquivalenz beachten. Die Prinzipien dürften aber auch nicht "pervertiert"
werden, so Clausen. Als Beispiel nannte er die Offenlegung jeglicher Zuwendungen
an Kunden durch Unternehmen im Internet. Unproblematisch seien Leistungen für
den Patienten, weil dieser nicht als "Kunde" im Sinne des Gesetzes gelte. So
könne man Stomapatienten in der Klinik vor der Entlassung vergünstigte
Stomaprodukte zukommen lassen. Unsicherheiten gebe es derzeit beim Thema
"Entlass- und Versorgungsmanagement". Entlassmanagement sei Klinikaufgabe.
Außerdem sei noch der niedergelassene Arzt explizit erwähnt, aber keine
weiteren Beteiligten, so Clausen. Die Homecare-Unternehmen seien aber über das
Versorgungsmanagement nach §11 Abs. 4 SGB V in dem Bereich der Überleitung des
Patienten vom Krankenhaus in den häuslichen Bereich eingebunden. Zum Bereich
der Schulungen stellte Clausen klar, dass das Unternehmen natürlich für eigene
Produkte und Therapien Schulungen durchführen darf. Schulungen zu anderen
Themengebieten seien dagegen Kundenzuwendungen und damit rechtlich
problematisch. In der Diskussion um das neue Korruptions-Bekämpfungsgesetz
sieht Clausen bei der zweiten Tatbestandsalternative der berufsrechtlichen
Pflichten das Problem, dass die Musterberufsordnungen in den einzelnen
Bundesländern höchst unterschiedlich umgesetzt sind.
Oberstaatsanwalt Alexander Badle, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von
Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen bei der
Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main, ging auf die Frage ein, was die
neuen Strafgesetzparagrafen für die staatsanwaltliche Ermittlungsarbeit
bedeuten. Grundsätzlich sieht Badle einen "hohen Entwicklungsgrad" des
Compliance-Wissens und des Problembewusstseins bei den MedTech-Unternehmen.
Grund seien die zahlreichen Schulungsveranstaltungen des BVMed seit vielen
Jahren. Bei den niedergelassenen Ärzten stecke das Thema Compliance dagegen
"noch in den Kinderschuhen". Badle verdeutlichte, dass der Gesetzgeber bei
komplexen Fachthemen und Detailfragen nicht alles regeln könne. Umso wichtiger
sei es, in der konkreten Anwendung des Straftatbestandes die Sachverhalte in den
speziellen Fällen klar zu erfassen. Das neue Gesetz enthalte dabei eigentlich
keine neuen Verbote, "sondern eine neue Sanktionsschärfe". Badles Botschaft an
die BVMed-Unternehmen: "Wenn Sie sich an die Branchen-Spielregeln aus dem Kodex
Medizinprodukte halten, haben Sie das Risiko einer strafrechtlichen Ermittlung
deutlich minimiert." Er verdeutlichte, dass die Tatbestandsmerkmale der
Paragrafen 299a und b StGB weit gefasst seien und jede Kooperation oder
Leistungsbeziehung im Gesundheitswesen erfassen, "wenn sie zum Gegenstand einer
Unrechtsvereinbarung gemacht werden". Die Abgrenzung zwischen einer zulässigen
wirtschaftlichen Betätigung und einer strafbaren Unrechtsvereinbarung könne
sich in der Praxis der Strafverfolgung oft als schwierig erweisen. Umso
wichtiger sei es, die sehr spezifischen Marktvorgänge zu kommunizieren. Die
Compliance-Regeln und die Compliance-Verantwortlichen eines Unternehmens seien
dabei "eine ganz wichtige Firewall" und eine wichtige
Kommunikationsschnittstelle zu den Staatsanwaltschaften. Durch eine gute
Kooperation können Ermittlungsverfahren deutlich abgekürzt werden. "Eine gute
Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten schützt vor unberechtigten
Strafanzeigen", so Badle. Sein Plädoyer: "Investieren Sie auf Unternehmensseite
in wirksame Compliance-Strukturen."
Der Rechtsanwalt und Arzt Dr. Adem Koyuncu von Covington & Burling beleuchtete
Lobbying-Compliance im Gesundheitsbereich in Brüssel und Berlin. Dabei gebe es
zahlreiche Überschneidungen der Lobbying- mit den Compliance-Anforderungen.
Insgesamt nehme die Bedeutung des Lobbying aufgrund der Komplexität der
Thematik und der Auswirkungen von Rechtssetzungsverfahren im Gesundheits- und
Medizinproduktebereich stark zu. Das wurde besonders deutlich an den äußerst
komplexen Beratungen zur europäischen Medizinprodukte-Verordnung, so Koyuncu.
Zu den Aufgaben der Compliance-Officer und Geschäftsführer gehört auch die
Lobbying-Compliance. Das Unternehmen spricht dabei neben Politikern auch andere
Gruppen wie Ärzte oder Krankenkassenvertreter an. Dabei handelt es sich häufig
um Amtsträger. Hier gelten für die Unternehmen die strengen
Compliance-Vorgaben. Beachtet werden müssen die speziellen Lobbying-Regeln, die
sich beispielsweise aus den Lobbying-Registern in Brüssel oder anderen Ländern
ergeben. Relevant sind aber auch die allgemeinen Regeln des Straf- oder
Kartellrechts, spezielle Transparenzgesetze oder – als dritte Ebene – die
verschiedenen Verhaltenskodizes auf europäischer und nationaler Ebene. Das
"Joint Transparency Register" von EU-Kommission und -Parlament hat
beispielsweise einen eigenen Verhaltenskodex und erfordert regelmäßige
Berichterstattung über die Aktivitäten. Verstöße werden publik gemacht, was
wiederum zu kritischen Medienberichten führen kann. Koyuncu empfahl den
Unternehmen, Checklisten zur Gewährleistung der Lobbying-Compliance zu
erstellen.
Auf Aspekte der kartellrechtlichen Compliance ging Rechtsanwalt Dr. Christian
Burholt von Baker & McKenzie ein. Das Kartellrecht habe für die Unternehmen
besondere Relevanz, da Kartellrechtsverstöße mit empfindlichen Bußgeldern
geahndet werden. Die Höhe kann für Unternehmen bei bis zu zehn Prozent des
Vorjahresumsatzes liegen. Die Kartellverfolgung stehe im Fokus von EU-Kommission
und dem Bundeskartellamt. Die drei Säulen des Kartellrechts sind das
Kartellverbot, das Marktmachtmissbrauchsverbot sowie die Fusionskontrolle.
Entscheidend ist die Frage der Marktabgrenzung. Dabei geht es bei
Medizinprodukten um die "funktionelle Austauschbarkeit aus Sicht des Arztes".
Beispiel Herzklappen: Beim operativen Herzklappenersatz und beim
kathetergestützten Herzklappenersatz handelt es sich um zwei unterschiedliche
Märkte. Kartellrechtliche Risikobereiche sind Preisabsprachen, Absprachen über
Konditionen, die Aufteilung von Kunden, die Absprache von Quoten sowie die
Aufteilung von Märkten. Das Marktmachtmissbrauchsverbot greift, wenn das
Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung von mindestens 40 Prozent
verfügt. Zu den missbräuchlichen Verhaltensweisen gehören der
Ausbeutungsmissbrauch, das Behinderungsverbot sowie das Diskriminierungsverbot.
Wichtig sei die Installierung eines kartellrechtlichen Compliance-Programms, um
die Risiken für die Unternehmen zu minimieren. Dazu gehören eine
Risikoanalyse, Audits, interne Arbeitsanweisungen, regelmäßige Schulungen
sowie eine Überwachung der Compliance-Regeln.
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