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Hygiene (Gerd Altmann / pixelio.de) |
BVMed-Pressemeldung Nr. 94/12 vom 14. November 2012 :
Berlin. Bei konsequenten Hygienemaßnahmen ist mit ergebnisorientierter Zusammenarbeit und Kommunikation aller Beteiligten, ein großer Teil von nosokomialen Infektionen vermeidbar. Darüber waren sich die Referenten des BVMed-Hygieneforums 2012: "Prävention von Krankenhausinfektionen Möglichkeiten, Grenzen und ökonomische Aspekte beim Einsatz von Medizinprodukten" am 13. November 2012 in Berlin einig. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nach Ansicht der Experten verschiedene Strategien verfolgt werden, von Schulungen über die Optimierung der Arbeitsprozesse bis zum richtigen Einsatz der richtigen Medizintechnologien. "Hygiene ist ein Spagat zwischen eigenen Ansprüchen und Finanzierbarkeit in unserem Gesundheitssystem", so Moderator Hans-Peter Geisel.
"Hygiene-weitergebildetes Personal ist das A und O bei der Vermeidung nosokomialer Infektionen", erklärte Dr. med Christine Geffers vom Institut für Hygiene an der Charité. Dr. med Christiane Reichardt, ebenfalls vom Hygiene Institut der Charité, wies auf die Wichtigkeit der Implementierung bestehender Maßnahmen hin und stellte die Händedesinfektionskampagne "Aktion Saubere Hände" vor. Für die sinnvolle Nutzung von Sets plädierte Dr. Ernst Tabori vom Deutschen Beratungszentrum für Hygiene: "Die Nutzung von Sets kann Zeit, Wege und Energie einsparen sowie Fehler durch Standardisierung vermeiden. " Dr. Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Pädiatrischen Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover stellte eine Studie zur Nutzung von Filtern in Infustionstherapien vor. "Der Einsatz von Filtern verhindert schwerwiegende Komplikationen", so Sasse. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Krankenhäusern für die Optimierung klinischer Arbeitsabläufe befürwortete Prof. Dr. Wolfgang Friesdorf vom Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der Technischen Universität Berlin. Dr. Annette Busley vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkrassen e. V. (MDS) beleuchtete die ökonomische Seite von nosokomialen Infektionen. Sie riet, vorhandene Mittel für Hygienemaßnahmen einzusetzen und nicht für die Behandlung von Komplikationen.
Dr. med. Christine Geffers, Oberärztin am Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité in Berlin, befasste sich zunächst mit der Anzahl nosokomialer Infektionen und wie viele davon vermeidbar seien. Die Grundlage von Hochrechnungen sei das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS). Diese Zahlen seien in Risikopopulationen erhoben worden. Demnach hätte es im Jahr 2009 619.000 nosokomiale Infektionen gegeben, von denen 563.000 Patienten mindestens eine nosokomiale Infektion gehabt hätten. Unter Studienbedingungen wurde durch Surveillance und die Einleitung konsequenter hygienischer Maßnahmen eine Vermeidbarkeit nosokomialer Infektionen von 32 Prozent festgestellt, führte Geffers aus. Maßnahmen waren die Organisation eines krankenhausweiten Programms mit intensiver Surveillance, die Beschäftigung eines Arztes mit Interesse für und Kenntnissen in Infektionskontrolle sowie die Beschäftigung einer Hygienefachkraft pro 250 Betten. Grundsätzlich könne davon ausgegangen werden, dass sich im Durchschnitt ca. ein Drittel aller nosokomialen Infektionen vermeiden lässt, so Geffers.
Geffers ging auch auf die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes von 2011 ein. Die wichtigsten Neuregelungen beträfen die Länderhygieneverordnungen, die Errichtung der ART-Kommission für Antibiotika-Therapie, die Pflicht zur Surveillance, auch von Antibiotikaverbräuchen, und die Erschaffung von Indikatoren zur Messung der Hygienequalität. Wünschenswerte Konsequenzen aus der Novellierung seien sowohl die Vereinheitlichung des Standards der Länderverordnungen als auch die Möglichkeit zur Bewertung und sachgerechten Schlussfolgerung beim Einsatz von Antibiotika und die Erhöhung von Transparenz und Wettbewerb. Auch dem Einsatz der richtigen Medizintechnik komme eine wichtige Rolle bei der Vermeidung nosokomialer Infektionen zu. "Die Medizintechnik birgt viele Chancen in Bezug auf Infektionsprävention. Jedoch sollte die Einführung von Innovationen überwacht werden, um den Erfolg der Produkte zu gewährleisten."
Die Compliance des Personals als unabdingbare Voraussetzung zur
Verbesserung der Krankenhaushygiene thematisierte Dr. med. Christiane Reichardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité in Berlin. Dabei stellte sie die Händedesinfektionskampagne "Aktion Saubere Hände" vor. "Warum ist es so schwierig, eine einfache Maßnahme, wie die Händedesinfektion, in die Praxis zu integrieren?", diese Frage stellte Reichardt einleitend. Risikofaktoren seien zum Beispiel die hohe Arbeitsdichte, das Arbeiten auf der Intensivstation sowie das Tragen von Handschuhen und Kitteln. "Es herrscht eine Diskrepanz zwischen Wissen, Überzeugungen und aktuellem Verhalten", so Reichardt. Die Absichtsbildung des Personals sei abhängig von der wahrgenommenen Kompetenz, der Handlungsergebniserwartung und der Risikowahrnehmung des Mitarbeiters. "Die Mitarbeiter denken, Handlungsabfolgen wie die Häufigkeit der Händedesinfektion, die sie schon seit 20 Jahren durchführen, müssen sie nicht ändern", erklärte Reichardt. Fakt sei, dass bisherige Methoden zur Verbesserung der Compliance wenig erfolgreich waren. Die "Aktion Saubere Hände" hingegen sei ein multimodales Interventionsmodell. Wichtige Aspekte der Aktion waren unter anderem die Einführung des WHO-Konzepts "5 Moments of Hand Hygiene", eine hohe Verfügbarkeit von Händedesinfektionsmittel, die Messung der Compliance und des Händedesinfektionsmittelverbrauchs sowie die Durchführung von mindestens jährlichen Fortbildungen und Erfahrungsaustauschen. Von den 1101 teilnehmenden Einrichtungen trafen 95 Prozent die Aussage, die Aktion Saubere Hände hätte die Umsetzung von bestehenden Compliance Plänen beschleunigt oder überhaupt erst möglich gemacht. Generell konnte die Compliance des medizinischen Personals um 12 Prozent gesteigert werden. Im Erfahrungsaustausch 2012 zeigte sich, dass in über 70 Prozent der Einrichtungen das WHO-Modell zur Händedesinfektion implementiert werden konnte.
Möglichkeiten der Fehlervermeidung durch Optimierung der Arbeitsprozesse stellte Dr. Ernst Tabori, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie Gynäkologie und Geburtshilfe vom Deutschen Beratungszentrum für Hygiene in Freiburg, vor. Zu den Hygienevorschriften, die das Handlungsumfeld der Hygiene bestimmen, zählen Gesetze und Verordnungen wie das Infektionsschutzgesetz und das Medizinproduktegesetz, die Medizinproduktebetreiberverordnung und die Landeshygieneverordnungen. Außerdem schaffen Empfehlungen wie die der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) des Robert-Koch-Instituts sowie technische Normen Rahmenbedingungen für Hygiene. Neu sei, dass die KRINKO-Empfehlungen mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes eine positive Vermutungsregel haben: Wurden die KRINKO-Empfehlungen beachtet, so wird vermutet, dass der Stand der medizinischen Wissenschaft eingehalten wurde. Tabori ging ausführlich auf die Verwendung standardisiert produzierter Fertig-Produkte-Sets ein (z.B. OP-Sets für bestimmte Operationen). Obwohl auch nach detaillierter Recherche keine Empfehlungen oder wissenschaftliche Literatur zur Nutzung von Sets ausgemacht werden konnten, empfahl Tabori: "Die Nutzung von Sets kann Zeit, Wege und Energie einsparen sowie Fehler durch Standardisierung vermeiden." Da die Vorteile durch einen grundsätzlichen Einsatz bisher noch nicht belegt seien, sollten Sets dort eingesetzt werden, wo sie vorteilhaft sind. "Letztendlich ist meist nicht das Produkt verantwortlich für eine Infektion, sondern die falsche Nutzung durch das Personal." Für die Gewährleistung der Sicherheit des Patienten sei sowohl die Festlegung von Zuständigkeiten wichtig als auch eine entsprechende Qualifikation des Personals. Die Verantwortlichkeit läge jedoch trotzdem beim Management.
Dr. Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Pädiatrischen Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover, referierte über den Einsatz von Infusionstherapien und die Reduktion lebensbedrohlicher Ereignisse bei Intensivpatienten. Die Häufigkeit des Systemischen inflammatorischen Response-Syndroms (SIRS) und der Sepsis lag bei 400 Patienten auf einer pädiatrischen Intensivstation bei 200 (SIRS-) und 30 (Sepsis-) Fällen. Mögliche Verbesserungen sieht Sasse in einer Veränderung von Infusionstherapien, da im Infusionsmanagement und der Verabreichung von Medikamenten eine hohe Fehlerrate läge. Dabei bemängelte Sasse, dass lediglich 10 bis 20 Prozent der Intensivstationen über ein striktes Infusionsmanagement verfügten. Das Risiko steige mit dem intensiveren Gebrauch parenteral verabreichter Therapie, einer fehlenden allzugänglichen Übersicht über Medikamente und deren Verträglichkeit untereinander sowie Unverträglichkeiten diverser Medikamente mit der Bildung von ungelösten Partikeln. Die Bestandteile des Infusionssystems schieden bis zu 100.000 Partikel pro Liter Lösung aus, wodurch eine SIRS ausgelöst werden kann. Eine prospektive, randomisierte Studie zur Nutzung von Filtern in Infusionssystemen ergab, dass das Auftreten von SIRS mit einem Filter signifikant reduziert werden und die Intensivliegedauer um rund 22 Stunden verkürzt werden konnte. Durch die daraus resultierenden Reduktionen von Medikamenten und Arbeitsaufwand sowie einer Erhöhung der OP-Kapazität und der Flexibilität bei der Belegung, sei dies auch von hoher Relevanz für die Arbeitsbelastung und Ökonomie der Intensivstationen. "Der Einsatz von Filtern verhindert schwerwiegende Komplikationen. Die Einführung bedarf aber einer guten Vorbereitung und Einweisung", resümierte Dr. Michael Sasse.
Die ergonomische Gestaltung neuer Medizinprodukte und das Optimieren klinischer Arbeitsabläufe beschrieb Prof. Dr. Wolfgang Friesdorf vom Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der Technischen Universität Berlin. Die Übertragungswege von nosokomialen Infektionen seien vielfältig. Hersteller von Medizinprodukten könnten zu ihrer Vermeidung vor allem durch Berücksichtigung der Norm DIN EN 60601-1-6 über die "usability", also die Benutzerfreundlichkeit ihrer Produkte, beitragen, nach der jedes Medizingerät Teil eines größeren komplexen Systems ist. Krankenhäuser könnten ihre Abläufe optimieren durch genauere Definition der Behandlungsprozesse, die Schaffung von Transparenz und ein besseres Risikomanagement. Mitarbeiter empfänden oft ihre Arbeitsplatzergonomie als schlecht, so dass Fehler vorprogrammiert seien. Außerdem litten sie unter Arbeitsverdichtung und zunehmendem Zeitdruck. Das Ziel sei eine proaktive Gestaltung des Behandlungssystems. "Dabei muss Ergonomie auf allen Ebenen gewährleistet sein: Geräte, Arbeitsplätze, Prozesse - das gesamte System muss ergonomisch sein", erklärte Friesdorf. Krankenhäuser müssten unter anderem Behandlungsaufgaben detailliert analysieren und beschreiben, messbare Ziele definieren, priorisierte Anforderungen an Medizinprodukte ableiten und ihre Mitarbeiter stetig qualifizieren. Hersteller bräuchten ein besseres Verständnis der Behandlungsaufgabe und der Behandlungsabläufe. Dies könne nur in enger Zusammenarbeit von Herstellern und Krankenhäusern geschaffen werden. "Krankenhäuser sind in der Verantwortung, Behandlungsleistungen in effektiven, effizienten und sicheren Prozessen zu erbringen. Die Krankenhäuser müssen die benötigten Strukturen definieren", stellte Friesdorf abschließend fest.
Dr. Annette Busley, Fachgebietsleiterin stationäre Versorgung beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkrassen e. V. (MDS), schilderte die ökonomischen Aspekte der Prophylaxe und Therapie nosokomialer Infektionen im Krankenhaus. Busley führte zu Beginn aus, dass bei vielen Verantwortlichen in Krankenhäusern der Eindruck bestehe, Hygienemaßnahmen würden im DRG-System nicht vergütet werden. Dies sei falsch. Die Kosten für Hygienemaßnahmen würden genauso vergütet werden, wie die Behandlung von Infektionen. "Wirtschaftlich klug handelt ein Haus, das so viel in Hygiene investiert, dass es mehr an Behandlung von Infektionen einspart", so Busley. Die Kosten von nosokomialen Infektionen seien enorm. Patienten mit nosokomialen Infektionen lägen durchschnittlich sieben Tage länger im Krankenhaus. Außerdem liege der pflegerische Aufwand um den Faktor 1,8 bis 3 höher als bei nicht betroffenen Patienten. Die Medikamentenkosten für die Behandlung einer Pneumonie durch MRSA liege im Durchschnitt bei 5.408 Euro, bei MSSA bei 3.533 Euro. Da eine DRG-Vergütung pauschalierend in Höhe eines Durchschnittskostenausgleiches erfolge, könnten durch komplikationsfreie Behandlungsverläufe hohe positive Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden. Komplikationen führten zu Mehrkosten. Vermeidbare Komplikationen führten zu vermeidbaren Mehrkosten. Relevante Hygienemaßnahmen führten unmittelbar zu einem Rückgang von nosokomialen Infektionen. Busleys Empfehlung: "Vorhandene Mittel für Hygienemaßnahmen einsetzen und nicht für die Behandlung von Komplikationen."
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