Freitag, 7. April 2017

BVMed legt 10-Punkte-Plan zur Bundestagswahl vor


Ärztekongress (© fv 2009)

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) hat auf seiner Mitgliederversammlung in Berlin einen 10-Punkte-Plan zur anstehenden Bundestagswahl  zu den Notwendigkeiten der MedTech-Branche vorgelegt. „Wir benötigen eine neue Innovationskultur, die sich stärker an den Patientenbedürfnissen orientiert. Wir wollen mehr Transparenz und eine aktive Beteiligung in der Selbstverwaltung und den Gremien“, forderte BVMed-Vorstandsvorsitzender Dr. Meinrad Lugan bei der Vorlage des BVMed-Positionspapiers auf der Mitgliederversammlung des Verbandes am 7. April 2017 in Berlin. Das Papier kann unter www.bvmed.de/positionen (https://www.bvmed.de/de/bvmed/positionspapiere-stellungnahmen) heruntergeladen werden.

Die Erstattungs- und Bewertungssysteme müssten an die Dynamik von medizinischen und technischen Weiterentwicklungen angepasst werden. Ein neues „Fortschrittsbeschleunigungsgesetz“ für medizinische Innovationen könnte dafür den gesetzlichen Rahmen bilden, heißt es in dem BVMed-Papier. Der Verband spricht sich außerdem für mehr Transparenz bei den Entscheidungen der Selbstverwaltung und deren Gremien aus. Vertreter der MedTech-Hersteller müssen dort, wo ihre Produktbereiche oder damit verbundene Verfahren betroffen seien, als Experten gehört und eingebunden werden. Zur Verfahrensbeschleunigung sollte es auch ein Antragsrecht der Herstellerverbände im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für neue Medizintechnologien geben. Bei der Nutzenbewertung für innovative Medizintechnologien setzt sich der BVMed dafür ein, die Bedeutung von Registern und Versorgungsforschung stärker hervorzuheben.

Im Krankenhausbereich plädiert der BVMed für eine transparente, nachvollziehbare und überprüfbare Sachkostenkalkulation durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Eine sinnvolle Mehrmengenregelung müsse auch die steigende Lebenserwartung und Bevölkerungsentwicklung berücksichtigen. Methoden, die für den stationären Sektor positiv bewertet worden sind, müssten auch ambulant erbracht werden, wenn entsprechende struktureller Voraussetzungen vorliegen. Um Vergütungen leichter und zielgenauer vereinbaren zu können, sollte es für ambulantes Operieren ein eigenständiges Vergütungssystem unabhängig vom EBM geben. Um einen effektiven Infektionsschutz im Krankenhaus zu gewährleisten, sollten Hygienemaßnahmen extrabudgetär vergütet werden.

In der Hilfsmittelversorgung setzt sich der MedTech-Verband für einen Qualitäts- statt Preiswettbewerb ein. Verhandlungsverträge sollten grundsätzlich die erste Vertragsoption sein. Erforderlich seien zudem standardisierte und spezialisierte Versorgungsstrukturen für die Behandlung chronischer Wunden. Dies könne durch ein strukturiertes Behandlungsprogramm (DMP) oder durch eine spezialisierte ambulante Wundversorgung (SAWV), in der auch die sonstigen Leistungserbringer als Wundversorgungsexperten einbezogen werden, erfolgen. Wichtig sei zudem eine ganzheitliche Digitalisierung der Versorgungsprozesse, der einheitliche Ausbau digitaler Anwendungen und die Interoperabilität der bestehenden Anwendungen. Für gesundheitsbezogene Apps, die eine medizinische und therapeutische Zweckbestimmung haben, sind die bewährten regulatorischen Rahmenbedingungen für Medizinprodukte zu adaptieren und weiterzuentwickeln.

Bei der Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) ist dem BVMed die Einsetzung einer Task Force in Deutschland mit allen Stakeholdern sowie ein Förderprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen wichtig.


Das „Positionspapier zur Bundestagswahl - Notwendigkeiten in der MedTech-Branche 2017 – 2021“ (https://www.bvmed.de/download/bvmed-10-punkte-plan-zur-bundestagswahl-2017) im Wortlaut:

1. Wir benötigen eine neue Innovationskultur, die sich stärker an den Patientenbedürfnissen orientiert


Wir benötigen eine neue Innovationskultur in der Weiterentwicklung und Verbesserung der Patientenversorgung in Deutschland durch neue technische Lösungen. Hierzu wünschen wir uns eine positive Atmosphäre für den medizinisch-technischen Fortschritt und einen schnelleren Transfer von Forschungsergebnissen in die Gesundheitsversorgung. Mediziner, Patienten, Forscher, Unternehmen und Krankenkassen sollten für eine bessere medizinische Versorgung stärker aufeinander zugehen.

Die Erstattungs- und Bewertungssysteme sind an die Dynamik von medizinischen und technischen Weiterentwicklungen anzupassen. Ein neues „Fortschrittsbeschleunigungsgesetz“ für medizinische Innovationen könnte den gesetzlichen Rahmen bilden.

2. Mehr Transparenz und aktive Beteiligung in der Selbstverwaltung und den Gremien

Wir brauchen mehr Transparenz bei den Entscheidungen der Selbstverwaltung und deren Gremien. Dazu bedarf es aktiver Beteiligung der Patientenverbände, der Fachgesellschaften, der Pflege und der Hersteller in den Entscheidungsprozessen von Selbstverwaltung und Gremien.
Vertreter der MedTech-Hersteller müssen dort, wo ihre Produktbereiche oder damit verbundene Verfahren betroffen sind, als Experten gehört und eingebunden werden. Es sollte zur Verfahrensbeschleunigung ein Antragsrecht der Herstellerverbände im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für neue Medizintechnologien geben. Im Kuratorium der IQWiG-Stiftung sind Pharma- und Medizintechnikhersteller gleichzustellen, da die Medizinprodukte ebenfalls Gegenstand von IQWiG-Bewertungen sind.

3. Sachgerechte Methodik für die Nutzenbewertung von Medizintechnologien

Eine Nutzenbewertung für innovative Medizintechnologien ist richtig und wichtig. Wir benötigen eine sachgerechte Methodik, die die Besonderheiten der Medizintechnologie besser berücksichtigt. Die Bedeutung von Registern und Versorgungsforschung bei der Bewertung von Medizinprodukten (im Sinne einer Real World Evidence) sollte vom Gesetzgeber stärker hervorgehoben werden.

Nachdem die gesetzlichen Anforderungen an Nutzenbewertungen zuletzt verschärft wurden, müssen sich die neuen Instrumente bewähren. Hersteller brauchen Planungssicherheit. Auf weitere Verschärfungen von Nutzenbewertungen soll daher in der nächsten Wahlperiode verzichtet werden.

Bei der Medizinproduktemethodenbewertung muss eine obligatorische Einbindung der Hersteller im Antrags- und Bewertungsverfahren sichergestellt werden. Die Kosten der Nutzenbewertung müssen für die Unternehmen vorher kalkulierbar sein. Die Dauer der Nutzenbewertung muss deutlich verkürzt werden.

4. Hochwertige Versorgung im Krankenhaus mit Medizinprodukten auch sachgerecht vergüten

Im Rahmen einer innovativen, hochwertigen, an den Bedürfnissen der Patienten orientierten Krankenhausversorgung müssen Medizinprodukte auch sachgerecht vergütet werden. Erfolgte dirigistische Eingriffe ins DRG-System sind rückgängig zu machen. Wir benötigen eine transparente, nachvollziehbare und überprüfbare Sachkostenkalkulation durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK).

Eine sinnvolle Mehrmengenregelung muss auch die steigende Lebenserwartung und Bevölkerungsentwicklung berücksichtigen. Das Instrument der Qualitätsverträge sollte ausgebaut werden. Generell sollten für Leistungen im Krankenhaus Ansätze qualitätsdifferenzierter Vergütung weiter an Gewicht gewinnen und konsequent an der Ergebnisqualität ausgerichtet werden.
In der politischen Diskussion werden Kosten für das Personal, insbesondere in der Pflege als positiv bewertet, hohe Sachkosten jedoch negativ. Medizinprodukte schaffen die Grundlage für kürzere OP-Zeiten, geringere Verweildauer und schnellere Genesung bei höherer Lebensqualität und Ambulantisierung der Medizin.

Zudem sollte der Bund für die Bundesländer Anreize schaffen, wenn sie ihren Investitionsverpflichtungen im Krankenhaussektor überdurchschnittlich nachkommen.

5. Ambulante Versorgung mit MedTech-Innovationen stärken

Methoden, die für den stationären Sektor positiv bewertet worden sind, müssen beim Vorliegen entsprechender struktureller Voraussetzungen auch ambulant erbracht werden. Bisherige Behandlungsmethoden im Krankenhaus, die in den ambulanten Sektor überführt werden, müssen schneller eine EBM-Ziffer erhalten. Es bedarf der Klarstellung, dass für die Dauer der Entscheidungsverfahren des G-BA oder des Bewertungsausschusses die stationäre Vergütung erhalten bleibt. Aufgrund überlanger Verfahren im Bewertungsausschuss sind Fristen und Verfahrenswege gesetzlich zu regeln.

Um Vergütungen leichter und zielgenauer vereinbaren zu können, sollte es für ambulantes Operieren ein eigenständiges Vergütungssystem unabhängig vom EBM geben. Bei Selektivverträgen soll auf den Nachweis der Wirtschaftlichkeit verzichtet werden, wenn eine besondere Qualität der Versorgung erreicht wird.
Standardoperationen, die durch Einsatz von Medizintechnologien bei gleichem Outcome auch kurzstationär oder ambulant durchführbar werden, sollten dem Krankenhaus vorbehalten bleiben. Durch finanzielle Anreize sollte die kurzstationäre und ambulante Leistungserbringung durch das Krankenhaus gefördert werden.

6. Effektive Hygienemaßnahmen zur Infektionsvermeidung vergüten

Die konsequente Umsetzung von Hygienemaßnahmen ist das effektivste Mittel zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen. Das beginnt mit der Prävention durch eine konsequente Händedesinfektion sowie Maßnahmen bei Krankenbehandlung, Operation und postoperativer Versorgung. Das derzeitige Vergütungssystem setzt jedoch Anreize, Hygieneaufwendungen zu minimieren. Um einen effektiven Infektionsschutz zu gewährleisten, sollten deshalb Hygienemaßnahmen analog zu den KRINKO-Empfehlungen extrabudgetär vergütet werden. Der Einsatz von Medizinprodukten, die die Rate postoperativer Wundinfektionen (Surgical Side Infection) reduzieren, sollte durch richtige Anreize gefördert werden.

Um das Infektionsrisiko durch Stich- und Schnittverletzungen beim medizinischen Personal und pflegenden Angehörigen zu minimieren, muss außerdem die flächendeckende Anwendung und Vergütung von Sicherheitsprodukten sichergestellt sein.

7. Qualitäts- statt Preiswettbewerb in der Hilfsmittelversorgung

Die reine Preisfokussierung – insbesondere bei Ausschreibungen – hat teilweise zu einer schlechteren Versorgung mit Produkten und Dienstleistungen geführt. Ausschreibungen sind nicht in allen Hilfsmittelbereichen zweckmäßig. Verhandlungsverträge sollten daher grundsätzlich die erste Vertragsoption sein.
Unabhängig davon ist neben den verpflichtenden Qualitätskriterien auch ein funktionierendes verbindliches, transparentes und bundeseinheitliches Vertragscontrolling erforderlich. Für eine wirksame Vertragskontrolle im Hilfsmittelbereich bedarf es einer Rechtsverordnung, die deutschlandweit vergleichbare Kriterien für die Überprüfung normiert. Zudem ist eine frühe Einbindung der Leistungserbringer und der Hersteller in die Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses unabdingbar.

8. Verbesserung der Versorgung chronischer Wunden

Wir benötigen standardisierte und spezialisierte Versorgungstrukturen für die Behandlung chronischer Wunden. Dies kann durch ein strukturiertes Behandlungsprogramm (DMP) oder durch eine spezialisierte ambulante Wundversorgung (SAWV) unter Einbeziehung der vorhandenen sonstigen Leistungserbringer als Wundversorgungsexperten erfolgen.

9. Digitale Infrastruktur für Medizinprodukte ausbauen

Die Digitalisierung kann helfen, die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten – die konkrete Umsetzung inklusive Vergütung hingegen ist noch ausbaufähig. Ein Beispiel hierfür ist die Telekardiologie, die nicht sachgerecht vergütet wird. Bei der digitalen Vernetzung der Gesundheitsakteure und -prozesse bedarf es der umgehenden Einbindung sonstiger Leistungserbringer (z. B. Hilfsmittelleistungserbringer) in die Telematikinfrastruktur. Wichtig sind die ganzheitliche Digitalisierung der Versorgungsprozesse, der einheitliche Ausbau digitaler Anwendungen und die Interoperabilität der bestehenden Anwendungen. Für gesundheitsbezogene Apps, die eine medizinische und therapeutische Zweckbestimmung haben, sind die bewährten regulatorischen Rahmenbedingungen für Medizinprodukte zu adaptieren und weiterzuentwickeln.
Um Digitalisierung im Sinne der Patienten und für die Versorgungsforschung nutzen zu können, brauchen wir sinnvolle Datenschutzregelungen, die die Datennutzung zu diesen Zwecken ermöglichen.

10. Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) und mögliche Gesetzgebung der EU zu Health Technology Assessment (HTA)

Ganz besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen fürchten, dass sie die Anforderungen der neuen MDR organisatorisch und finanziell kaum stemmen können. Die neuen klinischen Anforderungen sowie die umfassenden Dokumentations- und Berichtspflichten sind erhebliche Herausforderungen. Wichtig ist die Einsetzung einer Task Force zur Umsetzung der MDR in Deutschland mit allen Stakeholdern sowie ein Förderprogramm für MedTech-KMU. Die Unternehmen benötigen Planungssicherheit und Klarstellungen zur Implementierung, zu den Übergangsvorschriften und zu den Regeln der klinischen Prüfung. Benannte Stellen und Überwachungsbehörden müssen die neuen Anforderungen der MDR tatsächlich umsetzen können

Im Zuge der Einführung der einmaligen Produktnummer (UDI) durch die MDR müssen medizinische Einrichtungen ebenfalls in die UDI-Pflichten eingebunden werden.

Der Versuch der EU-Kommission, ggf. legislativ zu einer HTA-Harmonisierung zu kommen, greift in nationale Kompetenzen ein. Die Anforderungen an Nutzenbewertungen und gesundheitsökonomische Analysen sind nicht vom jeweils nationalen Vergütungssystem zu trennen. Die Bundesregierung sollte entsprechenden Initiativen im Ministerrat nicht zustimmen.

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