Mittwoch, 24. Juli 2013

Kassenkampagne gegen den medizintechnischen Fortschritt: "Mythenpapier der GKV enthält viele Falschaussagen"

Berlin. Das neue "Mythenpapier" der Gesetzlichen Krankenkassenverbände (GKV) zu Medizinprodukten enthält nach Aussage des BVMed zahlreiche Falschaussagen und verunsichert die Patienten, die auf lebensnotwendige Medizintechnologien angewiesen sind. "Das neue Kassenpapier fasst alle Mythen zusammen, mit denen die Kassen seit Jahren die Angst der Patienten schüren und so ihren Sparkurs rechtfertigen. Statt Krankenhäuser, Ärzte und Hersteller fortfahrend zu verunglimpfen, sollten die Kassenverbände endlich zum Wohl der Patienten an Lösungswegen für qualitativ hochwertige medizintechnische Versorgungen mitarbeiten", so BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt.

Herzschrittmachermodell (© Jens Goetzke  / pixelio.de)
Der BVMed wirft den Spitzenverbänden der Krankenkassen vor, unter dem Vorwand des mangelnden Nutzennachweises den Weg der Patienten zu modernen Medizintechnologien in einen Hürdenlauf zu verwandeln. "Dabei geht es allerdings nicht um die Patienten, sondern um die Sparwut der GKV, die derzeit 30 Milliarden Euro angehäuft hat. Dieses Geld muss in die Patientenversorgung fließen - und nicht in übertrieben hoch ausgestattete Residenzen in Berlin und stetig wachsende Verwaltungsapparate in den Spitzenverbänden", so der BVMed.

Das Papier "Medizinprodukte - Mythen und Wahrheit" der GKV-Spitzenverbände vom 19. Juli 2013 enthält nach Ansicht des BVMed zahlreiche überflüssige Forderungen und Falschaussagen, die die Unkenntnis über die komplexen Zulassungsprozesse von Medizinprodukten widerspiegeln:

> Falsch ist die GKV-Behauptung, ein staatliches Zulassungssystem hätte den PIP-Skandal um fehlerhafte Brustimplantate verhindert. PIP war kein Zulassungs-, sondern ein Überwachungsproblem. Kein Zulassungssystem der Welt verhindert kriminelle Machenschaften.

> Falsch ist die GKV-Behauptung, es bestehe bei Verdachtsfällen "keine amtliche Ermittlungspflicht durch die Behörden". Sowohl die Durchführung klinischer Studien als auch CE-gekennzeichnete Produkte im Markt werden behördlich überwacht.

> Falsch ist die GKV-Behauptung, Journalisten vom British Medical Journal und dem Daily Telegraph sei es problemlos möglich gewesen, "die CE-Kennzeichnung für eine Hüftprothese zu bekommen". Eine solche CE-Kennzeichnung wurde nicht vergeben. Es ging in dem dokumentierten Gespräch um eine Geschäftsanbahnung.

> Falsch ist die GKV-Behauptung, die Hersteller würden an der Haftpflichtversicherung sparen. Eine Pflichtversicherung muss von jedem Hersteller abgeschlossen werden. Alle Hersteller von Medizinprodukten verfügen über eine gesetzliche Betriebshaftpflichtversicherung.

> Falsch ist die GKV-Behauptung, die Zulassung bei Medizinprodukten sei weniger wert als bei Arzneimitteln. Die "CE-Zulassung" besteht bei Medizinprodukten in der Ausstellung der "Konformitätsbescheinigung" durch Benannte Stellen und in der jährlichen Re-Auditierung der Produktion und der Produkte. Spätestens alle fünf Jahre werden die Produktion und Produkte zusätzlich "re-zertifiziert". Daher hat die Konformitätserklärung zum jeweiligen Produkt nur ein kurzes Haltbarkeitsdatum. Damit geht das Medizinprodukterecht über die Anforderungen des AMG weit hinaus, das weder eine "Re-Auditierung" noch eine "Re-Zertifizierung" kennt. Bei Arzneimitteln findet dagegen keine regelmäßige Nachzulassung statt. Anders als das AMG schützt das Medizinprodukterecht zudem nicht nur den Patienten, sondern auch Anwender und Dritte. Der Schutzbereich ist also weiter gesteckt, was einen höheren Aufwand bei der Risikobewertung von Medizinprodukten bedeutet.

> Die GKV fordert die Einführung eines europäischen Qualitätssiegels "Proved in Europe". Diese Forderung belegt, dass die Verfasser offensichtlich weder die Bedeutung der "Neuen Konzeption" noch die Bedeutung der CE-Kennzeichnung auf Medizinprodukten kennen und verstanden haben.

> Die GKV fordert die Durchführung von RCT-Studien für Medizinprodukte und verkennt dabei die Andersartigkeit von Medizinprodukten und Arzneimitteln: weil sie im Gegensatz zu Pharmaka keine Auswaschphase haben; weil im Gegensatz zu medikamentösen Interventionen die Pharmakovigilanz kein Problem darstellt; weil ihre Implantation untrennbar mit manuellen Fertigkeiten (chirurgischer Expertise) verbunden ist; weil ihr Placebo-Effekt bestenfalls marginal ist; weil sie niemals nur gegen ein Scheinimplantat verglichen werden können.

Der BVMed spricht sich deutlich gegen eine staatliche Zulassung von Medizinprodukten aus. "Eine staatliche Zulassung bedeutet unnötige Bürokratie und Zeitverzug bei der Einführung von Innovationen, ohne dass dadurch die Patientensicherheit erhöht wird", so Schmitt. Es sei allerdings unbestritten, dass der europäische Rechtsrahmen für Medizinprodukte auch Schwächen hat. "Wir setzen uns deshalb für eine Verbesserung der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen sowie für eine verbesserte Kontrolle bei Herstellern und im Markt ein."

Darüber hinaus spricht sich der BVMed für gemeinsame Initiativen mit Krankenhäusern, Ärzten und Krankenkassen aus, um eine qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau sicherzustellen: "Wir brauchen eine gemeinsame Qualitätsoffensive von Krankenkassen, Kliniken, Ärzten und Unternehmen, um die Patientenversorgung zu verbessern und Abläufe im Gesundheitssystem zu optimieren und damit Kosten zu sparen."

Für den Bereich der Medizinprodukte sei das Thema Qualitätssicherung besonders wichtig, denn der Erfolg einer Patientenversorgung sei oft ein Zusammenspiel von gutem Produkt, gutem Arzt und verantwortungsbewusst handelndem Patienten. Die wichtige Rolle des Anwenders bzw. Implanteurs sei einer der wesentlichen Unterschiede zum Arzneimittelsektor. Deshalb sei gerade bei komplexeren Medizintechnologien das Thema Aus- und Weiterbildung der Ärzte und Operateure von besonderer Bedeutung, betont Schmitt.

Quelle: BVMed-Pressemeldung Nr. 51/13 vom 24. Juli 2013

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